
Das Bauen der ZukunftWie kann die Bauwirtschaft von der Digitalisierung profitieren?
Die Art, wie wir wohnen und leben, verändert sich rasant. Besonders in den Großstädten wächst die Bevölkerung unaufhaltsam, weshalb die Baubranche boomt. Langfristig zeichnet sich jedoch ab, dass das Bauwesen bei der Umsetzung der geplanten Wohnungsbaumaßnahmen nicht hinterherkommen wird. Ein wesentlicher Grund hierfür ist das Versäumnis der Digitalisierung – dabei existieren bereits zahlreiche smarte Lösungen für den Haus- und Wohnungsbau, die sowohl Zeit als auch Kosten sparen können und zudem einen nachhaltigen Ansatz verfolgen. Die Chancen für das Bauwesen durch die Digitalisierung, auch Bauen 4.0 genannt, sind enorm. Wie genau sehen diese Ansätze aus und wie werden sie die Zukunft des Bauens beeinflussen?
Status quo
Neben dem Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und dem Stromtrassenausbau sollen bis spätestens 2025 auch ein flächendeckendes Breitbandnetz sowie der Neubau von bis zu 400.000 Wohnungen pro Jahr umgesetzt werden. Doch die Realität sieht anders aus … Die Bauindustrie ist bereits heute komplett ausgelastet, die Haushaltsmittel werden häufig nicht effektiv verplant und trotz der großangelegten Bauvorhaben steigt das Wohnungsdefizit. Das Statistische Bundesamt gab kürzlich an, dass bereits 2017 sieben Prozent der deutschen Bevölkerung in einer zu kleinen Wohnung lebten – Tendenz steigend. Wie ist es aktuell tatsächlich um die deutsche Bauwirtschaft bestellt?
Das deutsche Bauwesen auf einen Blick
- 27 Mrd. Euro müssten jährlich zusätzlich in den Wohnungsbau investiert werden.
- 2.000 Euro/m2betragen die aktuellen Baukosten.
- 400.000Wohnungen hätten von 2016 bis 2020 pro Jahr gebaut werden müssen, um den benötigten Wohnungsbedarf zu decken.
- 2018wurden laut Statistischem Bundesamt lediglich 285.900 Wohnungen fertiggestellt.
- 130.000Arbeitskräfte fehlen der Baubranche.
- 10 %weniger Angestellte arbeiten in den kommunalen Bauverwaltungen im Vergleich zu 2011.
- 342 Mrd. Euroan Investitionen sind pro Jahr nötig, um die politischen Ziele für Infrastruktur und Wohnungsbau zu erfüllen.
- 0,3 %Produktivitätswachstum verzeichnete die Baubranche von 1995 bis 2015 jährlich (die gesamte Volkswirtschaft stieg 1,3 %, verarbeitendes Gewerbe 2 % pro Jahr).
Prognose
Die aktuellen Missstände werden sich auch auf unsere zukünftige Lebensweise auswirken. In Deutschland herrscht bereits heute Wohnungsnotstand. Doch was sind die Gründe, dass es um die Produktivität in der Bauindustrie – trotz vorhandener Projekte – so schlecht bestellt ist? Welche Gründe führten zur aktuellen Situation und wie wird sie sich perspektivisch entwickeln?
Hauptgründe für die Defizite im Bauwesen
Fachkräftemangel
- Der Fachkräftemangel wirkt sich besonders auf die Handwerksbranche aus.
- Um den Bedarf an Baumaßnahmen decken zu können, müssten die Beschäftigtenzahlen von 900.000 um etwa 15 Prozent auf über 1 Million steigen.
Baupreis
- Die Baubranche verzeichnet kein entscheidendes Wachstum; die Kapazitäten sind begrenzt. Dadurch steigen die Preise für Bauprojekte.
- Der Quadratmeterpreis stieg seit 2016 um 15 Prozent auf 2.000 Euro/m2.
- Außerdem stiegen von 2010 bis 2016 die Preise für Bauland um 30,5 Prozent (Städte mit mehr als 500.000 Einwohnern verzeichneten eine Steigerung von 70 Prozent).
Produktivitätskrise
- Ein Anstieg der Produktivität könnte dem Mangel an Arbeitskräften entgegenwirken (momentan ist dies jedoch nicht erkennbar).
- Die Produktivität in der Baubranche stieg zwischen 1995 und 2018 lediglich um circa 0,3 Prozent pro Jahr.
- Zeitgleich konnte die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft jährlich um 1,3 Prozent und die des verarbeitenden Gewerbes um 2 Prozent gesteigert werden.
Demografischer
Wandel
- Die Zahl der deutschen Einwohner ist seit 2003 kontinuierlich gesunken (die Geburtenraten gingen zurück, die Sterberate stieg, junge Menschen zogen ins Ausland, die Bevölkerung wurde älter).
- Seit 2012 ist wieder ein Aufwärtstrend zu verzeichnen (neben einem leichten Anstieg der Geburtenzahl ist vermehrte Zuwanderung aus dem Ausland dafür verantwortlich).
- Haushalte werden kleiner. Bis 2030 sollen 43 Prozent der deutschen Haushalte aus einer Person bestehen.
Komplexes
Baurecht
- In Deutschland gibt es mehr als 16 Landesbauverordnungen.
- In den vergangenen Jahren kam es zu zusätzlichen Verschärfungen der Bauvorschriften und Planungsprozesse.
- Die Folgen: Aktive Bauprozesse müssen angepasst werden, es kommt zu Verzögerungen. Zudem müssen Materialien teilweise neu zugelassen oder nochmals zertifiziert werden.
Digitaler
Rückstand
- Die Baubranche hinkt hinsichtlich der Digitalisierung, verglichen mit anderen Wirtschaftszweigen, deutlich hinterher.
- Moderne Prozesse wie die Arbeit mit digitaler Planungssoftware oder 3D-Zeichnungen sind bislang nicht im Bauprozess deutscher Unternehmen angekommen.
- Dabei könnte deren Anwendung Risiken im Bauprozess frühzeitig aufzeigen und verhindern. Zudem könnten Aufwandskosten sowie bis zu 30 Prozent an Planungskapazitäten eingespart werden.
“Um die Digitalisierung im deutschen Gebäudesektor ist es leider schlecht bestellt, besonders im internationalen Vergleich. Um sie voranzutreiben, braucht es Investitionen. Diese wiederum sind eng mit Vergabestrukturen verbunden. Aufgrund von vorherrschenden Werten fließen Investitionen in Deutschland allerdings tendenziell eher in die Automobilindustrie als in den Gebäudesektor.“
Karim Fabian BeganaCivil & Environmental Ingenieur im Real Estate Development

Landflucht und Metropolisierung:
Wandel der Lebensräume in Deutschland
Vor allem junge Menschen aus ländlichen Regionen ziehen – meist aus beruflichen Gründen – in wirtschaftsstarke Ballungsräume und gründen dort einen neuen Haushalt.
2017 sind insgesamt 63 deutsche Großstädte gewachsen.Zeitgleich werden alteingesessene Stadtbewohner durch steigende Mieten in die näheren Randgebiete gedrängt. Auslöser dafür sind eine unvorteilhafte Bebauung sowie lange Bauprojekte, die das Wohnungsangebot in den Städten verknappen.
Seit 2014 ziehen mehr deutsche Staatsbürger ins Umland als in die Stadt.Während vor allem in ländlichen Regionen die Zahl der leerstehenden Gebäude steigt, nimmt der Trend zum Haus im direkten Umland von Großstädten zu. Grund dafür ist auch, dass in den Großstädten Räume zur Bebauung häufig nicht effektiv genutzt werden und Bauprojekte sich in die Länge ziehen. Zusätzlich ziehen immer mehr junge Menschen zum Arbeiten in die Städte und gründen 1-Personenhaushalte. Die Folgen: Mietpreise steigen und alteingesessene Anwohner ziehen in Randgebiete ihrer Heimatstadt, sodass die Siedlungsgebiete immer größer werden und ein Ausbau der Infrastruktur notwendig wird.
Haushaltsgrößen in Deutschland im Jahr 2018
Haushaltsgröße | Haushalte | |
---|---|---|
1.000 | % | |
Insgesamt | 41.378 | 100,0 |
1-Personenhaushalte | 17.333 | 41,9 |
2-Personenhaushalte | 13.983 | 33,8 |
3-Personenhaushalte | 4.923 | 11,9 |
4-Personenhaushalte | 3.748 | 9,1 |
Haushalte mit 5 Personen und mehr | 1.390 | 3,4 |
Um dem aktuell bestehenden und konstant zunehmenden Wohnungsdefizit in Ballungsgebieten entgegenzuwirken, müssen neue Projekte und Maßnahmen zum Wohnungsbau umgesetzt werden. Zwar wurden 2018 insgesamt 346.800 Wohnungen genehmigt, errichtet wurden aber lediglich 285.900. Das sind zwar 0,4 Prozent mehr als noch im Vorjahr, das Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr konnte jedoch trotzdem nicht erreicht werden. Ein Umdenken der Branche kann perspektivisch nicht nur den Wohnungsbau beschleunigen, sondern ihn auch deutlich preisgünstiger gestalten.
Der Wohnungsbaubedarf in Deutschland
Wohnungen in
BallungsräumenMietsozialwohnungen
- 400.000
- 60.000
- 80.000
- 260.000
- Bedarf von
140.000
zusätzlichen
Wohnungen - Neubaufertigstellungen
liegen bei ca. 260.000
Wohnungen pro Jahr
Zukunftsfähiges Bauen
Zukünftig wird sich die Baubranche an das schnelle Gesellschaftswachstum anpassen müssen – eine Optimierung der Arbeitsprozesse ist unausweichlich. Gewohnte, aber starre Arbeitsprozesse müssen einfachen und flexiblen Bauweisen weichen, um mit der aktuellen Entwicklung Schritt zu halten. Vielfältige Lebens- und Wohnmodelle rücken in den Vordergrund, deren Bauweise einen nachhaltigen und seriellen Ansatz verfolgen. Welche Lösungen existieren bereits und welche alternativen Bauweisen werden unser Leben in den nächsten Jahren prägen?
Bauweisen der Zukunft
Serielles Bauen
- Verwendung vorgefertigter Bauelemente und -module
- Fabrikfertige Lieferung zur Baustelle
- Einfache Zusammensetzung der Teile
- Qualitäts- und Produktivitätssteigerung um das Fünf- bis Zehnfache
- Komplexe Baumaßnahmen schneller umsetzen
- Schnellere Bauweise möglich (gleiche Grundrisse/Designs)
- Kosteneinsparung
- Auch ungeschulte Arbeitskräfte für den Aufbau nutzbar
Lean Construction
- Benötigte Ressourcen und Equipment sind genau vorgeplant und auf einzelne Aufgaben und Arbeitsschritte verteilt (Critical-Chain-Projektplanung)
- Minimierung des Materialienaufwands
- Verbrauchsreduzierung
- Kosten- und Zeiteinsparung
Vertikale Bauweise
- Errichtung dorfähnlicher Hochhäuser (Wohnungen, Supermärkte, Restaurants, Fitnessstudio etc. in einem Gebäude)
- Zahlreiche Wohnungen auf kleiner Gesamtfläche
- Befriedigung diverser Alltagsbedürfnisse in
unmittelbarer Nähe
- Mietpreise meist zu hoch für den
Ottonormalverbraucher
Nachhaltigkeit beim Bauen
Nachhaltigkeit spielt bereits bei aktuellen Bauprojekten eine grundlegende Rolle und wird auch künftig ein wichtiger Faktor sein. So war die Verwendung erneuerbarer Energien bei der Beheizung neuer Gebäude laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2018 erstmals auf Platz 1. Zudem werden Häuser und Siedlungsgebiete zunehmend anhand ihrer Öko-Bilanz bewertet. Sogenannte Eco-Home-Ratings, also die Bewertung des Gebäudes nach energiesparenden und umweltfreundlichen Standards, werden vermehrt in den Vordergrund rücken.
Möglichkeiten für mehr Nachhaltigkeit im Bauwesen
Direkt im Haus verbaute modulare Batterie- und Solarspeicher machen die effektive Nutzung erneuerbarer Energien möglich.
Lüftungstechnik und Wärmedämmung sind komplett auf einen effektiven Wärmegewinn ausgerichtet. Zum Vergleich: Das Passivhaus benötigt nur 20 Prozent der Heizenergie eines Niedrigenergiehauses.
Natürliche Materialien wie Holz werden aufgrund der energiesparenden Verarbeitungsweise und dessen Langlebigkeit immer wichtiger. Außerdem kann Holz sehr hohe Werte an CO2 speichern und lässt sich schnell und kostengünstig verarbeiten.
Durch gute Isolierung und die Verwendung von energiesparender Haustechnik wird der gesamte Energieverbrauch niedrig gehalten.
Baumaterialien und deren Bestandteile sollen nach Vorbild der Natur in biologischen und technischen Kreisläufen wiederverwertet werden.
Durch die industriell vorgefertigte Produktion nachhaltiger Bauelemente können ökologisch hohe Standards auch bei gleichbleibenden Kosten erreicht werden.
„Perspektivisch gesehen sollte verstärkt das Cradle-to-Cradle-Prinzip (C2C oder „Von Wiege zu Wiege“) im Gebäudesektor ausgebaut werden. Unter dem C2C-Prinzip versteht man die Schaffung eines Wertkreislaufes. Hinter dieser Nachhaltigkeitsstrategie steckt die Vision einer abfallfreien Wirtschaft, bei der Unternehmen keine gesundheits- und umweltschädlichen Materialien verwenden und Rohstoffe dauerhaft einem Kreislauf zurückgeführt werden. Konkret bedeutet das für den Bausektor, dass Gebäudeteile wie eine Fassade beispielsweise geleased werden und der Hersteller diese später zurücknimmt und wiederverwertet – sie quasi upcycled – und erneut verleased. Innovative Konzepte allein reichen allerdings nicht aus. Ohne stärkende Impulse aus der Politik können Klimaschutzziele im Gebäudesektor nicht erreicht werden. Um Bauprodukthersteller dazu zu motivieren, ihre Produkte nach dem C2C-Prinzip herzustellen oder auf andere Weise klimaneutral zu arbeiten, sind neue Gesetze und Zertifizierungssysteme notwendig.“
Karim Fabian BeganaCivil & Environmental Ingenieur im Real Estate Development
Konstruktion 4.0
Das deutsche Bauwesen ist einer der wichtigsten deutschen Wirtschaftszweige, hinkt aber hinsichtlich der
digitalen Transformation im europäischen Vergleich weit hinterher. Ein Großteil der
Branche orientiert sich bei der Umsetzung von Bauprozessen noch immer an Planungsunterlagen auf
2D-Basis. Das ist bedenklich – vor allem, da die Digitalisierung viele Defizite in der Bauplanung,
Building Information Modeling (BIM)
- Entwurf
- Raumprogramm
- Variantenstudien
- Konzeptionelles Design
- Planung
- Gewerkekoordination
- Kostenermittlung
- Simulationen
- Berechnungen
- Ausführung
- Bauablaufsimulation
- Baufortschrittskontrolle
- Baustellenlogistik
- Abrechnung
- Bewirtschaftung
- Facility Management
- Wartung
- Betriebskosten
- Rückbau
- Umbau
- Recycling
- Revitalisierung
Studie: Digitales Planen und Bauen Schwerpunkt BIM, 2018
Beim Building Information Modeling (BIM) lassen sich durch eine dreidimensionale Darstellungsweise 2D-Pläne für Grundrisse und Schnitte ableiten und damit der ganze Lebenszyklus einer Gebäudekonstruktion erfassen. Dieser beinhaltet:
- Entwurf
- Planung der Details sowie deren Ausführung
- Spätere Bewirtschaftung des Gebäudes
- Möglicher Rückbau
Anders als bei herkömmlichen 3D-Modellen definiert das BIM baurelevante Objekte wie Wände und
Rohrleitungen vor und zeigt sie im Modell. Darüber hinaus werden alle Teile mit weiteren
Beschreibungen kategorisiert sowie die Wechselbeziehung der Bauelemente
dargestellt. Somit lassen sich mittels Simulationen frühzeitig mögliche Kosten oder Faktoren zur
Energieversorgung, aber auch technische oder umweltbezogene Informationen zu verschiedenen Bauteilen
ermitteln.
Das Ergebnis: Eine komplette Bausimulation des Projekts, die nicht
nur den Austausch und das Abrufen von Daten optimiert und jederzeit gewährleistet, sondern auch eine
deutlich effektivere Planung und Umsetzung gewährleistet.
Neue Techniken für den Einsatz im Bauwesen
Drohnen und Roboter
- Digitale Überwachung und Kontrolle des Baufortschritts
- Regelmäßige Aktualisierung des 3D-Modells (BIM)
- Hochqualitative Landschaftsaufnahmen
- Einsatz von Drohnen und Robotern bei sich wiederholenden Prozessen
- Effektiver als der Mensch
Laserscans
- Präziser Scan der räumlichen Beziehungen von Objekten
- Darstellung des gesamten Objekts möglich
- Fertige Darstellung des gescannten Objekts = „Punktwolke“
- Daraus wird ein 3D-Modell erzeugt
Foto- und Videogrammetrie
- Zwei Messmethoden
- Erstellung einer 3D-Form, räumlichen Lage oder Punktwolke aus Fotografien und Videoaufnahmen
- Mehrere verschiedene Perspektiven nötig
Augmented Reality
- Erweiterte Realität
- Dreidimensionale Zusammenführung der wahrgenommenen und der artifiziell geschaffenen Realität
- Resultat: Echtzeitsimulation der einzelnen Elemente
„Die Niederlande und das Vereinigte Königreich sind am fortschrittlichsten im Hinblick auf die Digitalisierung der Baubranche. In Deutschland können wir uns hier ein Beispiel nehmen. Allein die Prozesse sind in UK oder den Niederlanden um ein Vielfaches effizienter. An Baumodellen wird beispielsweise mit Hilfe von Webanwendungen gearbeitet, die es ermöglichen, Projekte schnell und einfach zu verwalten oder Aufgaben zu koordinieren. In Deutschland läuft das Projektmanagement noch sehr starr, verstaubt und natürlich analog.“
Karim Fabian BeganaCivil & Environmental Ingenieur im Real Estate Development
Interview
Erfahren Sie im Interview mit Frau Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand bei der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), mehr zum Thema Nachhaltigkeit beim Bauen und bekommen Sie einen Einblick, wie Unternehmen ihre Baumaßnahmen nachhaltiger gestalten können.
- BKM: Entgegen der allgemeinen Vorurteile spart nachhaltiges Bauen auf lange Sicht Kosten, da beispielsweise die Betriebskosten signifikant niedriger ausfallen. Jedoch sind die Bauunternehmer in der Regel nicht diejenigen, die das Gebäude später in Stand halten, und profitieren somit auch nicht von der Kosteneinsparung. Für die Entwickler zählen kurzfristige Gewinne. Inwiefern rentiert sich nachhaltiges Bauen also für sie?Lemaitre: Zunächst muss man widersprechen, dass nachhaltiges Bauen teurer ist. Das stimmt einfach nicht. Wir haben dazu zertifizierte Projekte ausgewertet und es gibt keinen Zusammenhang zwischen Baukosten und Zertifizierungsstufe. Vielmehr müssen wir doch eigentlich mal kritisch nachfragen, was denn der referenzierte Benchmark sein soll, dem gegenüber es teurer wird? Haben wir Benchmarks für „keine Qualität“ bzw. „keine Nachhaltigkeit“? Es gibt ja sowas wie einen Marktstandard, der im Grunde schon auch deutlich über dem ist, was gesetzlich gefordert ist. Das wird aber immer gerne ausgeblendet. Auch der zunehmende Flächenbedarf wird ebenso wenig kritisch hinterfragt wie die zunehmenden Ausstattungswünsche.
- BKM: Funktionierende CO2-Zertifikate für Unternehmen können einen möglichen politischen
Ansatz
darstellen, den Gebäudesektor nachhaltiger zu gestalten. Der (ökonomische) Nachteil solcher
Zertifikate wäre jedoch, dass Prüfprozesse hohe Kosten verursachen. Gleichzeitig bedeutet es
geringere Steuereinnahmen durch geringere Steuersätze für nachhaltige Unternehmen. Welche
politischen Maßnahmen können eine wirkungsvolle Alternative sein?
Lemaitre: Der Wunsch wäre natürlich, dass über klare politische Vorgaben aus den bisherigen starren Randbedingungen ausgebrochen werden würde. Vorgaben, die technologieoffen sind ebenso wie zielorientiert, was bedeutet, dass sie die Begrenzung der CO2-Emissionen vorgeben. Nachdem dies aber auf Bundesebene sicher utopisch ist, sind hier die Länder und Kommunen gefragt, um ambitioniert nach vorne zu gehen. Leider ist die aktuelle Überlagerung der Wohnbausituation und der Klimaschutzthemen mehr als kontraproduktiv. Denn genau wie oben beschrieben, wird hier nicht ehrlich über die Kostentreiber gesprochen. Und gerade die Technologieoffenheit kann hier ein Ausweg sein.
Das Zertifizierungssystem der DGNB System ist genau unter dieser Prämisse entwickelt worden. Und die Projekte, die wir bereits auszeichnen konnten, etwa mit unserer neuen Auszeichnung „Klimapositiv“, zeigen, was heute bereits möglich ist. - BKM: Wie können Bauprodukthersteller motiviert werden, ihr Produkt beispielsweise nach dem „Cradle-to-Cradle“-Prinzip zu konzipieren?Lemaitre: Cradle-to-Cradle ist ein Designprinzip, bei dem Produkte so gestaltet werden, dass ihre Bestandteile entweder in der technischen Sphäre immer wieder verwendet werden können oder aber biologisch abbaubar sind. Es geht hier um eine konsequente Produktgestaltung, die sich der Verantwortung stellt, was nach Ende der Nutzungszeit mit den Produkten passiert. Idealerweise handeln Unternehmen aus Eigenmotivation. Sie produzieren bessere Produkte und werden dann durch entsprechende steigende Nachfrage dafür zusätzlich motiviert.